Zur Metaphysik des Ortszeitlichen

Jede menschliche Sinnhaftigkeit ist ortszeitlich. Das menschliche wache Ich-Bewusstsein bewegt sich durch ein zeitliches Kontinuum. Jeder Zeitpunkt darauf ist dem Leben an einem bestimmten Ort zugeordnet. In diesem Sinn sind Sinn und Sinne kongruent und sich gegenseitig suchend und ergänzend. Das, was wir als real erleben, wird so zur Realität in einer Ortszeit der Materie. Dazu entsteht jedoch zunehmend eine Parallelwelt.

Jede Sinnhaftigkeit, jedes einzelne Sinnerlebnis, jeder erlebte Sinn unseres Lebens hat einen Ort und eine Zeit. Alles, was für uns persönlich Sinn oder nicht Sinn macht, erleben wir in einem zeitlichen Rahmen und an einem bestimmten Ort.

Das bewusste Erleben kann vom Ortszeitlichen auf natürliche Weise entrückt sein. Dann ist es in verschiedenen Abstufungen nicht mehr wach. Handlungen und Entscheidungen jedoch, die eine persönliche Verantwortung umsetzen, finden in einem Sinnzusammenhang statt, der örtlich und zeitlich ist.

Aus diesem persönlichen Rahmen wird gerne ausgebrochen, aber in diesen Rahmen muss immer wieder zurück gekehrt werden.

Ich kann gerne entscheiden, an einer bestimmten Bushaltestelle in der Nähe der Wohnung oder der Arbeitsstelle nicht auszusteigen, sondern einfach ziellos weiterzufahren, aber ich muss schließlich wieder in meinen gewohnten Rahmen zurückkehren. Das betrifft nicht nur den örtlichen Sinnrahmen, sondern auch den zeitlichen.

Sinnhaftigkeit, Ortszeitlichkeit und Lebensressource

Wir sind ortszeitlich abgestimmt mit unseren Lebensressourcen.

In diesen Abstimmungsrahmen müssen wir schließlich immer wieder zurückkehren. Das hat auch mit unserer Verankerung in unserer Leiblichkeit zu tun. Auch wenn ich beschließe, eine Weltreise völlig ohne Geld zu unternehmen, wird dies nicht ohne eine stimmige Strategie geschehen, und diese stimmige Strategie ist ein örtlicher und zeitlicher Sinnzusammenhang. Dies betrifft auch ein Leben auf der Straße in Obdachlosigkeit oder auf der Flucht, und dies betrifft auch ein Leben nur von und in der Natur.

Dem Ortszeitlichen enthoben sind wir in gehobenen Bewusstseinszuständen, in Rauschzuständen und im Traum. Aber auch dies sind Ausnahmezustände, aus denen wir immer wieder in unseren ortszeitlichen Sinnzusammenhang zurückkehren. Am Ende des Lebens in unserem Sterbeprozess ist dies anders.

Ort, Zeit und Sinn sind eine Dreiheit.
Sinn entsteht gebunden an Ort und Zeit, und Ort und Zeit sind entweder aufgeladen mit Sinn oder der Abwesenheit davon. Liminale Zustände jeder Art und ihre, in der Regel, starke Bedeutung sind Beispiele für das Letztere. Auch Flow- und Einheitserleben sind Zeugnisse eines besonderen Amalgams aus Sinn, Zeit und Ort.

Ein Teil der Metaphysik unseres Lebens ist die Metaphysik des Ortszeitlichen

Es gibt noch einen anderen Bereich, in dem wir scheinbar dem Ortszeitlichen enthoben sind. Dieser Bereich nimmt in unserem Leben einen immer größeren Raum ein. Anders als in gehobenen Bewusstseinszuständen leben wir in diesem Bereich trotzdem ein konkretes Leben, erfahren den Sinn dieses Lebens jedoch metaphysisch in einer kodierten Symbolwelt, zu der wir nicht konkret informiert sind. Das heißt, wir leben konkret, geben unseren einzelnen Leben aber abstrakt einen Sinn.

Ein großer Teil unseres Lebenssinns ergibt sich scheinbar auf einer abstrakten Ebene. Wenn wir eine Versicherung abschließen oder in eine Rentenversicherung einzahlen, kann das sinnvoll sein, aber diese Handlungen finden in einem abstrakten Bewusstseins- und Rechtsraum statt. Viele unserer Handlungen, die persönlichen Sinn erzeugen, sind auf ein Möglichkeitspotential hin ausgerichtet. Bei einer Versicherung, bei der es um verschiedene mögliche Schadensfälle geht, ist dieses Möglichkeitspotential relativ konkret. Bei der Steigerung eines möglichen späteren Netto-Einkommens jedoch in der Regel eher abstrakt. Wir entscheiden uns oft für Möglichkeiten, die abstrakt formuliert oder repräsentiert sind. Das passiert auch in Alltagssituationen. Hier ist die Erschaffung des Sinnhaften unkonkret. Wir erwarten, dass sich der Sinn später konkretisiert. So entscheiden wir uns für ein späteres ortszeitliches Ergebnis, aber in verschiedenen Abstufungen vage. Solche abstrakten Entscheidungen für die Erschaffung von Sinnhaftigkeit sind häufig. Sie finden in einem geistigen Raum statt. Es ist ein Teil der Metaphysik unseres Lebens.

Unser tägliches Leben besteht üblicherweise fortlaufend aus der Aktivierung von Autorisierungen dieser Art. Dies gilt für uns sowohl in der aktiven, wie in der passiven Rolle. In der Metaphysik unseres Lebens sind wir ständig, für uns intransparent, mit ortszeitlich konkreten Ereignissen verbunden, die uns fremd sind und denen wir fremd sind. Oft bedeutet dies eine negative Auswirkung in einer von uns weiten ortszeitlichen Entfernung. Umgekehrt offenbaren sich vage eigene und/oder fremde Entscheidungen später auch als für uns selbst als von unerwarteter Bedeutung.

Unsere Existenz führt ständig unvermeidbar zu Konsequenzen. Der Existenz- und Konsequenzraum, den wir planetar teilen ist für die Handelnden vermehrt jedoch metaphysisch. Auch wenn wir konkret, also nicht traum- oder rauschhaft, leben, geben wir diesem Leben einen Sinn innerhalb eines kodierten Symbolraums, dessen Beziehung zum Konkreten für uns nur noch mittelbar, wenn überhaupt, nachvollziehbar ist.

Intern konkret und gleichzeitig ortszeitlich unkonkret

So ist zwar jede Sinnhaftigkeit unseres Lebens weiterhin ortszeitlich, und das Ortszeitliche ist weiterhin unhintergehbar. Unsere persönliche Autorisierung von Sinn in unserem Leben geschieht jedoch neuerdings vermehrt in einer Parallelwelt dazu. Unsere Selbstermächtigung und die positive Rückmeldung unseres Belohnungs- und Lustempfindens zu dieser Selbstermächtigung sind zusammen in dieser Parallelwelt situiert. In einem schon länger währenden Prozess hat sich dies verdichtet und zunehmend amalgamisiert. Die Kennung dieses Amalgams spurt unser Leben hin auf Ziele, die konkret hin zu internen Rückkopplungen führen, während sie gleichzeitig ortszeitlich unkonkret sind. Dass dies möglich ist, ist für uns zu einer Wahrheit geworden. Mit dieser Parallelwelt ist eine neue Form der psychologischen Wahrhaftigkeit entstanden. Gleichzeitig wird das unhintergehbare Ortszeitliche immer weniger erkannt und seiner Wahrhaftigkeit beraubt.

Auf diese Weise explodiert die Sinnhaftigkeit unseres modernen Lebens hinein in eine Dauerschleife einer vom Ortszeitlichen abgehobenen Erfüllung. Erfüllung und Belohnung haben sich in einen personalisierten mentalen Repräsentationsraum mit nur mittelbaren Beziehungen zum Ortszeitlichen verschoben. Unser Schicksal entscheidet sich zwar weiter im Ortszeitlichen, aber wie als verzögerte Antwort aus einer Blackbox heraus. Damit ist die paradoxe Situation entstanden, dass Erfüllung und Belohnung in einem mentalen Parallelsystem als transparent,  die konkrete Sinnerschaffung oder der Sinnverlust im Ortszeitlichen aber als intransparent erlebt werden.

Wir scheinen also eher in Ausnahmen von der ortszeitlichen Eingebundenheit zu leben, als direkt in ihr. Und in der Tat, erschaffen wir immer mehr Ausnahmen und haben auch eher ein Bedürfnis in den Ausnahmen davon zu leben.

Die Gewohntheit, selbstermächtigt im Hier und Jetzt belohnt zu werden, obwohl das Hier und Jetzt nicht mehr greifbar ist, erschafft den Widerspruch einer wahrhaftigen Vagheit und damit die Aura der Wahrhaftigkeit für jede Situation, die zu Belohnung und Erfolg führt.

Dies ist möglich geworden, weil wir in zwei verschiedenen Reichen leben. Im Reich des Gewordenen und im Reich des Gemachten. Wir leben eigentlich auf zwei Planeten gleichzeitig, aber wir haben nur einen von ihnen als unsere eigentliche Heimat adoptiert. Dies ist metaphysisch verschleiert.