Musik – Texte – Physik

Neue Musik und Neue Physik

Was ist der zentrale Gehalt der Musik? Ihr aufnehmender Charakter! Alles was klingt, klingt aus einer Substanz heraus. Klang ist per se etwas Seiendes. Aber dieses per se Seiende des Klangs ist immer wieder neu in jedem Augenblick. Der Klang und damit die Musik ist etwas oszillierendes, eine Gestalt, die sich in ihrer Oszillation mit ihrem eigenen Gehalt aufpumpt. Der Klang hat deswegen eine Wirkung auf uns, weil er etwas Aufnehmendes ist. Dabei klingen immer die Tiefenstrukturen mit, die den Klang physikalisch erst möglich machen. Die Physik des Klangs reicht also über den Fokus, den er physiologisch in uns abbildet weit hinaus.

Wenn wir Musik sagen, meinen wir natürlich sehr viel mehr als nur Klang. Der subtile Umgang mit etwas Klingendem im raum-zeitlichen Gefüge erzeugt eine Wirkung auf uns als menschliche Hörer. Das nennen wir Musik. Viel von dieser Wirkung kann eine psychologische Wirkung sein, die gar nicht vom Klingenden, sondern von der Weglassung herrührt. Musik ist das, was man hört, aber letztlich ist ihre Wirkung entscheidend, die auch aus dem herrühren kann, was man nicht hört.

Die Weglassung alleine könnte jedoch keine Musik sein, deswegen bleibt das Zentrale der Musik das, was klingt, und das was klingt ist etwas Aufnehmendes. Der Klang nimmt seinen eigenen Gehalt auf. Dieser Gehalt ist eine Schwingungsstruktur, die sich ständig in einem Übergangszustand befindet, und der Übergang führt immer wieder zu sich selber. Eine im platonschen Sinne scheinbar ideelle Gestalt, die deshalb ist, weil sie eine Wirkung auf uns hat und weil sie eine stabile Substanz jenseits des Klangs hat. Der Klang ist die Wirkung der Substanz, die der Klang aufnimmt, und diese Substanz ist nicht das, was wir hören, sondern das Unhörbare, mit dem uns der Klang verbindet. Man kann deshalb sagen, dass ein Klangkörper, ein Musikinstrument zum Beispiel, ständig etwas Aufnehmendes abgibt, das uns mit etwas verbindet, welches für uns sonst mit unseren Sinnen nicht aufnehmbar wäre. Klang und Musik sind die Substanz der Aufnahme, mit ihnen nehmen wir die Aufnahme auf!

Im Klang begegnet uns eine Grundstruktur des Aufbaus der Materie. Dies ist besonders in der stehenden Welle der Fall, wie sie als Longitudinalwelle in Blasinstrumenten oder als Vokalklang im menschlichen Körper auftritt. Die stehende Welle erhält sich selbst. Natürlich bildet sie die Eigenschaften des Trägermediums, der Luft und des Klangkörpers ab, aber in jedem Klang steckt mehr als das. In Klängen steckt ein eigenes Erhaltungsprinzip. Sie schaffen sich Raum zu sich selber. Die Kräfte des Klangs berühren und stützen sich und schaffen so einen Raum im Inneren des Klangs, der scheinbar unabhängig vom Klangraum außen ist. Im inneren des Klangs spiegelt sich die Substanz des Klangs zu sich selber und erschafft sich ständig neu. Mehr als das: Je exakter die Eigenschwingung sich zu sich selber spiegelt, umso enthüllter klingt die Detailstruktur des Klangs, die Obertonstruktur. Jede neu hervorklingende Obertonstufe klingt aus der Verstärkung einer solchen inneren Klangstruktur hervor. Obertöne klingen aus dem Inneren des Klangs. Beim Gesang ist dies besonders deutlich erlebbar.

Was hat dies alles mit moderner Physik zu tun?
Die moderne Physik gibt sich mit nichts weniger zufrieden als mit der Modellierung der Manifestation des Materiellen selbst. Wie entsteht etwas Materielles, wenn es noch nichts Materielles gibt? Worin soll die materielle Schwingung schwingen, wenn es noch kein Schwingungsmedium gibt? War zuerst die Frequenz oder war zuerst das Medium, in dem die Frequenz schwingen konnte? Henne oder Ei, was war zuerst? Das Ei scheint zugleich Henne gewesen zu sein und umgekehrt. Es scheint einen Moment gegeben zu haben, in dem etwas Nichtmaterielles zu sich selbst resonierte und so einen definierten Schwingungsraum mit definierten Eigenschaften hervorbrachte. Hervorbrachte in dem Sinne, dass es etwas aufdeckte, was schon da war. Aufdeckte, in dem Sinne, dass es etwas aufnahm und immer wieder neu aufnahm ohne Unterbrechung und dadurch einer Eigenschaft, vielen Eigenschaften Manifestation verlieh.

Musik – Texte – Phänomenologie

Eine Phänomenologie des direkt rückgekoppelt mit sich selbst einig Seins in der freien solo Querflöten-Improvisation:

Als jeweils aktiver Solo-Flötist und dann Zuhörer meiner eigenen Aufnahmen habe ich ein deutlich verschiedenes Erleben.

Die von mir improvisierte und dann hörbare improvisierte Musik ist für mich etwas anderes beim Spielen und beim späteren Hören.

Wenn ich alleine mit der Querflöte improvisiere, habe ich nicht die eigentliche Empfindung „Musik zu machen“. Ich öffne etwas für mich. Ich schaffe mir durch und mit meinem Spiel einen Zugang zu einer Sphäre, die mich unmittelbar teilhaben lässt, in dem Sinne, dass ich, dadurch, dass ich die Öffnung schaffe, Teil von der Sphäre bin.

Diese Sphäre ist im besten Fall eine prickelnd wahrhaftige Lebendigkeit. Sie ist Nahrung, Sehnsucht und Befriedigung der Sehnsucht zugleich.

Im übertragenen Sinne höre ich meiner Musik beim Spielen nicht zu, sondern ich schaffe Öffnungen, also Zugänge zu dieser Sphäre. Und das, was durch diese Öffnungen hindurch auf mich wirkt, lässt meine Empfindung entstehen und nicht das „mir selbst Zuhören“. Tatsächlich höre ich auch nicht. Ich empfinde dann und tue. Ich arbeite tätlich. Aber nicht, um ein Medium – die Musik – zu erzeugen, sondern einen direkten Zugang. Das Hören im eigentlichen Sinne ist dabei ein fast transparentes Ereignis.

Anders wenn ich dann tatsächlich einer auf solche Art entstandenen Tonaufnahme „zuhöre“. Dann bin ich Hörer mit den Eigenschaften, die mich erst zum Hörer machen. Auch ich muss meine eigenen Aufnahmen erst wahrnehmen und verarbeiten. Was das bedeutet bemerke ich besonders in diesem Gegensatz zum vielleicht eben noch aktiven Musiker.